Am 08.01.2021 kam es um 14:05 CET im europäischen Verbundnetz zu einem schweren Vorfall. Ausgelöst durch die Verkettung mehrerer Ereignisse gingen in Rumänien plötzlich mehrere GW an Leistung vom Netz.
Die Netzfrequenz sank binnen Sekunden von 50 auf 49,74 Hz

Ein Thread:
49,74 Hz ist außerhalb des "beherrschbaren Bereichs" von 49,8-50,2Hz. Durch den Störfall wurde das Netz in 2 Teile aufgeteilt, Notstromaggregate liefen an. Aufgrund hervorragender Leistung der Netzbetreiber kam es letztendlich zu keinen Auswirkungen für Haushalte außerhalb (2/22)
des direkt betroffenen Gebietes in Rumänien. Nach 1h40m wurde die Störung vollständig behoben. Auch wenn wir von einem Blackout meilenweit entfernt waren (HH werden erst bei 49Hz getrennt) ist es dennoch ein bedenkliches Ereignis. So weit hätte es nicht kommen dürfen. (3/22)
Warum genau fällt die Netzfrequenz? Am Netz hängen viele große Synchronmaschinen (z.B. von Gaskraftwerken), die sich mit der Netzfrequenz drehen.
Wird mehr Strom verbraucht als erzeugt, wird diesem System Energie gezogen, die Rotoren werden gebremst, die Frequenz fällt (4/22)
Dieser Effekt wird als Momentanreserve (MR) bezeichnet, er schafft Trägheit und dämpft Frequenzänderungen.
Fällt die Frequenz unter 49,99Hz, wird stufenlos die Primärregelleistung hochgefahren um den Abfall zu stoppen. Das sind z.B. Kraftwerke die nicht auf 100% Last (5/22)
laufen und so ihre Erzeugung innerhalb von Sekunden erhöhen können. Um die Frequenz wieder auszugleichen, wird die Sekundärregelleistung abgerufen. Das sind oft schnell regelbare KW wie Pumpspeicher oder (Bio-)Gas, die in wenigen Minuten Leistung bereitstellen können. (6/22)
Angesichts der Abhängigkeit von Strom (man denke mal an Kühlaggregate, diverse Produktionsmaschinen, Server, Mobilfunk, Intensivversorgung, usw.) müsste man eigentlich davon ausgehen, dass diese Infrastruktur abgesichert ist. Die Realität sieht aber anders aus: (7/22)
Weil jetzt sicher wieder jemand mit dem Finger auf die "bösen Erneuerbaren" zeigen wird: Zu besagtem Zeitpunkt war nur ~20% erneuerbarer Strom im Netz.
Die ganzen fossilen Kraftwerke am Netz konnten mit all ihrer Regelleistung die Unterfrequenz dennoch nicht verhindern... (9/22)
Ein weiteres großes Risiko für einen Blackout ist der Stromhandel. Der liberalisierte Markt erlaubt es, Strom in Spanien zu kaufen und nach Norddeutschland zu verschicken. Das sorgt für eine sehr hohe Auslastung der Leitungen. Gleichzeitig gibt es Anreize dafür, (10/22)
dass möglichst wenige Leitungen gebaut werden. Ein einzelner Leitungsausfall muss abgesichert sein (Gesetz!), fallen jedoch mehrere Leitungen aus, kann es zu Überlastung (die Leitungen werden zu warm) oder sogar Abschaltung kommen. Im Worst-Case droht eine Kettenreaktion. (11/22)
Wollen wir den intensiven Handel beibehalten, braucht es mehr Leitungen. Da der Strommarkt in 60 und 15 Minuten-Blöcken gehandelt wird, kommt es zu diesen Zeiten auch zu starken Schwankungen (s. Bild). Fällt ein Vorfall in diesen Zeitraum kann er verstärkt werden. (12/22)
Sollte es doch mal so weit kommen, gestaltet sich der Wiederanlauf nach einem Blackout bei Kohlekraftwerken schwer, sie brauchen viel Strom zum Anlauf. Atomkraftwerke werden zum Eigenschutz heruntergefahren und stehen durch Xenonvergiftung nur eingeschränkt zur Verfügung (13/22)
Es braucht daher spezielle "schwarzstartfähige" Kraftwerke (meist Gas oder Pumpspeicher), die sowohl ohne externe Stromversorgung schnell hochfahren können, als auch robust und für längere Zeit laufen können. Mit deren Strom werden dann z.B. Kohlekraftwerke gestartet (14/22)
Wie könnte das ganze bei 100% Erneuerbaren aussehen? Li-Ion Batterien sind aufgrund hoher Ladeleistung sehr gut für Primärreserve geeignet, sie können deutlich schneller Leistung bereitstellen/aufnehmen als aktuelle Kraftwerke.
Das ist auch nicht unwichtig, denn durch (15/22)
Bei der Sekundärregelleistung sieht es ähnlich aus. Auch hier sind Batterien eine gute Option, wobei man hier auch andere Zelltypen als Li-Ion verwenden kann
Viele andere Speichertechologien wie Druckluft, Pumpspeicher oder P2G könnten hier ebenfalls gut eingesetzt werden (17/22)
Wenn man das Regelleistungssystem im Blick hat und dementsprechende Maßnahmen z.B. massiver Ausbau von dezentralen Batteriespeichern, (Um-)Bau MR-fähiger Windkraftanlagen, usw. trifft, sind 100% EEG keine zusätzliche Gefahr für die Stabilität des Stromnetzes! (18/22)
Es ergeben sich auch weitere Vorteile: Wenn man große Kraftwerke durch viele kleine ersetzt, erhöht das die Ausfallresistenz. Gleichzeitig ist auch ein Inselbetrieb kleinerer Netzzellen möglich, da Batterien die Regelleistung auf lokaler Ebene bereitstellen können (19/22)
Das könnte im Falle eines Blackouts einen schnelleren (Teil-) Wiederanlauf ermöglichen. Da Wind und Solar keine großen Anlaufströme brauchen, können sie auch schnell wieder in Betrieb genommen werden z.B. um eine Notstromversorgung für krit. Infrastruktur bereitzustellen (20/22)
Persön. Fazit:
Wir sollten die Auswirkungen eines Blackouts nicht unterschätzen. Die nächste Großstörung wird kommen und könnte einen größeren Stromausfall verursachen.

Auch ist "Blackoutgefahr" kein wirkliches Argument gegen EEG, fossile Stromnetze sind aktuell ähnlich anfällig
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