Hans-Werner Sinn warnt vor Hyperinflation; er verbindet sie direkt mit der Machtergreifung Hitlers. Eine Verdrehung der Geschichte, argumentiere ich @handelsblatt: Der Nazi-Machtergreifung ging Deflation voraus, befördert durch Sparpolitik. Thread /1

https://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/homo_oeconomicus/gastkommentar-homo-oeconomicus-die-gefaehrliche-geschichtsverdrehung-des-hans-werner-sinn/26727474.html
Sinn sagt, Hyperinflation nach dem 1. WK ließ in der Weimarer Republik den deutschen Mittelstand verarmen: „Zehn Jahre später haben sie Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt.“ Politikempfehlung heute gegen Hyperinflation: „engere Budgetbeschränkungen“ /2

https://www.nzz.ch/finanzen/hans-werner-sinn-im-interview-ueber-corona-inflation-und-den-euro-ld.1589720
Sinn nährt damit eine verbreitete Fehlinterpretation. Massenarmut bei Machtergreifung der Nazis in 1933 resultierte nicht aus Hyperinflation, die damals zehn Jahre zurücklag; sie war vor allem eine Folge der Massenarbeitslosigkeit durch die tiefe Rezession in frühen 30ern. /3
Die Nazis waren nach Jahren der Deflation– also sinkenden Preisen – an die Macht gekommen. Reichskanzler Brüning erwirkte ab 1930 mit Notfalldekreten Steuererhöhungen und drastische staatliche Ausgabenkürzungen, die das soziale Sicherungsnetz durchlöcherten. /4
Austeritätspolitik erhöhte die Arbeitslosigkeit, führte zu sozialem Leid und Unruhen. Hitler erkannte spätestens Ende 1931, dass Brünings Sparpolitik seiner Partei „zum Sieg verhelfen und somit die Illusionen des gegenwärtigen Systems beenden“ werde. /5

https://research.calvin.edu/german-propaganda-archive/hitleranbruening.htm
HW Sinn fordert, es brauche nach Corona „engere Budgetbeschränkungen“ gegen Hyperinflation. Gefährliche Verdrehung: über die direkte Verbindung zwischen den negativen Auswirkungen der Austeritätspolitik Anfang der 30er und der Machtergreifung Hitlers verliert er kein Wort. /7
Repräsentative Umfrage: Nur 1 von 25 Deutschen weiß heute noch, dass die damalige Krise durch Deflation geprägt war. Fast die Hälfte der Befragten vermischt – wie HW Sinn – Massenarbeitslosigkeit und Deflation mit der Hyperinflation zehn Jahre vorher./8

https://hertieschool-f4e6.kxcdn.com/fileadmin/user_upload/20191118_Inflationsangst_Redeker_DE.pdf
Diese Fehlvorstellung ist bei gut gebildeten und politisch interessierten Deutschen übrigens wesentlich häufiger vorhanden. Doch HW Sinn sollte es besser wissen - und wenn dem nicht so ist, dann wenigstens keine unhaltbaren politischen Schlussfolgerungen für heute ziehen. /9
Falsche Interpretationen der Geschichte können folgenschwer sein, wenn sie die Wirtschaftspolitik auf das falsche Gleis führen. Um das zu verhindern, dürfen prominente Ökonomen nicht unwidersprochen bleiben, wenn sie derartige gefährliche Missverständnisse befeuern. /end
Das ist inakzeptabel. Ich habe inhaltlich argumentiert und mich auf aktuelle Spitzenforschung berufen. Diese Zuschreibungen sind unhaltbar. Ich hoffe sehr, dass das nicht die Debattenkultur ist, die dieser Kollege an den "Nachwuchs" weitergeben will.
Mehrere KritikerInnen meines Kommentars werfen mir vor, ich würde den Aufstieg Hitlers monokausal durch Sparpolitik erklären. Ich habe das nirgendwo geschrieben. Mein Argument: Sparpolitik verschärfte die Rezession, war entscheidender Faktor für Wahlerfolge der Nazis 1930-1933.
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