250 Jahre, bevor die Pocken dank einer #Impfung ausgerottet wurden, hat Voltaire einen Text über den Kulturkampf geschrieben: Die Pocken waren im 18. Jahrhundert die gefährlichste Krankheit Europas mit 400.000 Toten pro Jahr. Wer überlebte, trug oft hässliche Narben davon. /1
Das brachte sogar die Heiratspolitik der Habsburger durcheinander. Maria Elisabeth etwa, Fünftgeborene von Kaiserin Maria Theresia, war so schön, dass sie für eine besonders bedeutende politische Heirat gehandelt wurde. /2
Eine Pockenkrankheit durchkreuzte diesen Plan aber: Vernarbt, wie sie war, schaffte sie es lediglich zur Äbtissin von Innsbruck.
Vor diesem Schicksal wollte der englische Adel seine Kinder bewahren und griff zu einer höchst umstrittenen Methode: /3
Man ritzte ihnen einen Schnitt in den Arm und setzte dort einen Pustel ein, den man einem kranken Kind entnommen hatte. "Diese Pustel wirkt in dem Arm wie Hefe im Teig,"so Voltaire, "sie arbeitet dort und verteilt über das Blut die Eigenschaften, von denen sie durchsetzt ist."/4
Abgeschaut haben sich die Engländer diesen Brauch von den Tscherkessen, einem Kaukasus-Volk. "Die Tscherkessen sind arm und ihre Töchter sind schön", berichtet Voltaire. Ihre Schönheit machte sie zur wertvollen Ware als Haremsdamen - so lange sie keine Pockennarben hatten. /5
"Also blieb nur, um Leben und Schönheit ihrer Kinder zu schützen, dass man ihnen die Pocken früh genug übertrug." Weil die Methode erfolgreich war, übernahmen sie die Türken. In Konstantinopel sah das die Frau eines englischen Handelsreisenden. /6
Sie erzählte Caroline von Brandenburg-Ansbach davon, der Frau von Georg II., ab 1727 Königin von Großbritannien, die ihren eigenen Vater an die Pocken verloren hatte. Sie ließ die fremdländische Methode an vier zum Tode verurteilten Verbrechern testen. /7
Denen "rettete sie zweifach das Leben", folgert Voltaire: Die Männer entkamen dem Galgen und dem Pockentod. Als das Experiment erfolgreich war, ließ die Königin ihre Kinder impfen, und England folgte ihrem Beispiel. /8
In den anderen Ländern Europas war man jedoch entsetzt: "Die Engländer sind Narren, weil sie ihre Kinder mit Pocken anstecken, um sie zu hindern, welche zu haben. Und Tollköpfe, weil sie ihren eigenen Kindern mit Herzensfreude eine sichere und scheußliche Krankheit übertragen."/9
Die Engländer aber bezeichneten die übrigen Europäer als "feige Rabeneltern", die sich fürchteten, ihren Kindern ein bisschen weh zu tun und sie der Gefahr aussetzten, eines Tages an Pocken zu sterben. /10
Der Kulturkampf rund um die #Covid-19-Impfung darf nicht so lange dauern wie damals. An den Nebenwirkungen des Nicht-Geimpftseins starben in Österreich in diesem Jahr schon über 4.000 Menschen. /11
Voltaires Text findet sich im Reportageband "Nichts als die Welt" aus dem Galiani-Verlag. Exzerpiert für wien.memo, den täglichen Wien-Newsletter der Kleinen Zeitung. http://www.wienmemo.at  /12-e
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